Zusammen wachsen: Verschiedene Pflanzen in verschiedenen Töpfen

Gemeinsame Werte stärken: 5 erprobte Methoden zur Förderung von Toleranz und Zusammenhalt

Die gesellschaftliche Polarisierung hat sich merklich beschleunigt, vor allem durch die verstärkte Nutzung sozialer Medien, die oft extremere Ansichten und Falschnachrichten verbreiten. In diesem Beitrag zeigen wir, wie Lernangebote die Toleranz der Lernenden für unterschiedliche Sichtweisen, Informationen und Argumente fördern können.

 

Die sozialpsychologische Self-Affirmation-Theorie ist in diesem Kontext sehr spannend. Sie besagt, dass Menschen, die sich auf Werte besinnen, die für sie persönlich relevant sind, seltener in Bedrängnis geraten und defensiv reagieren, wenn sie mit Informationen konfrontiert werden, die ihrem Selbstbild widersprechen oder es bedrohen. Im Kontext der Polarisierung sehen einige Menschen ihr Selbstbild allerdings als bedroht und reagieren mit Vermeidungsverhalten oder der Abwertung von anderen Menschen.

 

Self-Affirmation-Interventionen, die im Kontext der wissenschaftlichen Forschung zum Thema zur Anwendung kommen, funktioneren so: Menschen werden gebeten, darüber nachzudenken, was ihnen im Leben wichtig ist. Daraus wählen sie zum Beispiel zwei Aspekte aus und suchen konkrete Alltagssituationen, die sie in einem Text kurz beschreiben. Die Ergebnisse zeigen, dass Self-Affirmation Stress reduziert, also Bedrohungen zum Beispiel als kleiner wahrgenommen werden, und Abwehrhaltungen verringert sowie einem zu starken Fokus auf nur einzelne Identitätsfacetten eines Menschen entgegenwirkt. Mehr zum Einsatz von Self-Affirmation in der pädagogischen Präventionsarbeit findest du u. a. im verlinkten Beitrag.

 

Diese Form der Self-Affirmation-Intervention kann ich mir sehr gut in der pädagogischen Arbeit vorstellen und findet in etwas veränderter Form ja auch schon Anwendung in diversen Methoden. So wäre es zum Beispiel denkbar, die Werte, die einem selbst (oder der Lerngruppe) wichtig sind, anstatt in einem Text in einer anderen kreativen, medialen Form wie Fotocollage, Songtext, Reel, Podcasts o. ä. darzustellen. Wichtig ist es letztlich, dass die Self-Affirmation nach der Intervention ganz selbstverständlich in den Alltag von allen Menschen fließt. Dafür braucht es meiner Ansicht nach noch Konzepte.

 

Um im Setting von Unterricht oder Workshops allen Lernenden zu zeigen, dass ihre Perspektiven wichtig sind, benötigen wir in der pädagogischen Arbeit eine Art Safe Space. Also ein Umfeld, das Sicherheit, Offenheit und Respekt fördert, damit alle Lernenden aktiv partizipieren können. Dazu gehören klare Verhaltensregeln, eine transparente Struktur im Lernangebot, eine gute Feedback-Kultur sowie auch möglichst inklusive Kommunikationsangebote.

 

Im Folgenden stelle ich fünf von mir erprobte Methoden vor, die das Ziel haben, gemeinsame Werte zu stärken, die du gern für dich ausprobieren und adaptieren kannst:

1. Positive Affirmationen für eine bessere Lernatmosphäre

Passend zur Self-Affirmation-Theorie können positive Affirmationen (positive, selbstbestätigende Aussagen) helfen, eine positive Lernatmosphäre zu schaffen. So können Affirmationen zum Beispiel als Routine beim Start des Lernangebotes das Selbstbewusstsein und die Motivation stärken. Wichtig jedoch hier: Diese Affirmationen sollten nicht wie nichtssagende Worthülsen daher kommen, sondern für die Lernenden authentisch und realistisch sein. Am besten lässt du die Affirmationen von den Lernenden selbst formulieren oder in medialen Beiträgen gestalten. Gute Beispiele sind aus meiner Sicht: “Ich bin einzigartig und habe besondere Talente”, “Ich bin mehr als meine Noten”, “Ich lerne aus Fehlern und werde immer besser” oder “Ich bin in der Lage, Konflikte friedlich zu lösen.”. In der praktischen Arbeit nutze ich das Wort “Affirmation” eigentlich nie, sondern benenne das oft als “Regeln”, das führt oft insbesondere bei Erwachsenen zu einer höheren Akzeptanz 😉

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2. Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg in Lernsettings anwenden

Ich arbeite sehr gerne mit den Prinzipien der Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg (kurz: GfK), um eine rücksichtsvolle und wertschätzende Kommunikation im Lernangebot zu fördern. Meist nutze ich die GfK gleich zu Beginn in Workshops als Einstieg, dass ich die Lernenden bitte, sich „gewaltfrei“ vorzustellen. Die GfK hat vier Schritte, um etwas wertschätzend auszudrücken: 1. Beobachtung, 2. Gefühl, 3. Bedürfnis und 4. Bitte. Ich erzähle dafür am Anfang erstmal ein Beispiel aus meiner Perspektive als Dozentin (hier das Thema Cybermobbing): „Ich beobachte, dass viele Lehrkräfte zu spät einschreiten, wenn es Cybermobbing-Fälle in Schulklassen gibt (1.), das macht mich traurig (2.), da ich möchte, dass sich alle Schüler:innen in der Schule sicher fühlen können (3). Daher meine Bitte mir zu sagen, was ich euch aus medienpädagogischer Sicht mitgeben kann (4.).“

 

Anschließend bitte ich alle Lernenden mir entsprechend dieser 4-Schritt-Logik zu antworten. Sie benennen ihre Gefühle und Bedürfnisse und merken dabei oft, dass in der Gruppe sehr viele ähnliche Bedürfnisse haben. Gleichzeitig schafft es ein sehr wertschätzendes Workshopklima.

3. Stärken und positive Erlebnisse durch Körperumrisse visualisieren

Eine weitere Methode, den Fokus auf die eigenen Stärken und positive Erlebnisse zu lenken, ist das Zeichnen und Beschriften von Körperumrissen. Beispiele, die ich gerne nutze sind:

 

Kopf: Das geht mir oft durch den Kopf. (Darüber denke ich oft nach.)

Augen: Das habe ich ins Auge gefasst. (Das sind meine Ziele und Pläne.)

Hände: Dafür habe ich ein Händchen. (Das kann ich gut.)

Arme: Darin bin ich richtig stark. (Das zeichnet mich aus.)

Herz: Dafür schlägt mein Herz. (Das sind meine Hobbys. Das mag ich sehr gern.)

Füße: Dafür stehe ich. (Das ist mir wichtig im Leben.).

 

Anschließend werden die Körperumrisse im Plenum angesehen. Ich nutze diese Methode auch als Reflexionsmethode zu bestimmten Themenbereichen und formuliere die Fragen zugeschnitten auf ein Thema.

4. Gemeinsame Werte entdecken mit "Das Experiment"

Auf sehr anschauliche und emotionale Weise zeigt das Video „Das Experiment“, dass wir alle die wichtigsten Fragen miteinander teilen. „Das Experiment“ entstand im Rahmen des EU Projektes DECOUNT und ist in der Machart inspiriert von der bekannten dänischen TV-Werbung „All that we share“. Nach dem gemeinsamen Anschauen, stellen die Lernenden das Video mit eigenen Fragestellungen in der Lerngruppe (oder mit externen Gäst:innen) nach. Auch hier sind weitere (digitale) Präsentationsformen wie Infografiken, Comics o. ä. denkbar.

5. Prototypen als Methode zur Förderung von Zusammenarbeit und Empathie

Ich selbst liebe das Prototypen mit einfachen Materialien wie Pappe, Papier, Wolle, Klebeband oder was sonst noch so rumliegt, um Ideen und Visionen zu visualisieren. Durch das haptische Erleben verbunden mit gestalterischen, kooperativen und diskussionsbasierten Methoden hilft es ganz praktisch, gemeinsame Werte wie Fairness, Empathie und Toleranz zu stärken. Das wirkt nachhaltig im Sinne der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) – auf eine positive Zukunft orientiert, auf vernetztes Denken, auf Partizipation, auf Chancengerechtigkeit und auf Handlungsorientierung.

 

Was lasse ich die Lernenden prototypen? Eigentlich alles, hier passend zum Thema könnte es eine ideale Gesellschaft, eine ideale Stadt, eine ideale Schule, für die Lernenden sein.

🎧 Übrigens: Mehr zum Thema, warum sich Menschen mehr und mehr aus öffentlichen (politischen) Diskursen zurückziehen und wo sich Bildungsinterventionen ansetzen lassen, kannst du in der Podcast-Folge “Nachrichtenmüdigkeit, Rolle des Journalismus und Selbstvergewisserung” mit Prof. Dr. Cornelia Mothes nachhören.

Titelbild Blogbeitrag von Aye auf Pixabay

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